top of page

Caligula und das Mädchen auf der Treppe - von Helwig Arenz (D)          

Begründung der Jury

In einem Mehrfamilienhaus lernen wir zwei der Familien über ihre Kinder kennen: Luka, der Sohn der einen, freundet sich mit Janette, der Tochter der anderen an. Es gibt auf den ersten Blick klare Unterschiede zwischen beiden Familien: Auf der einen Seite Luka, der seine pädagogisierenden, intellektuell fixierten Eltern mit Vornamen ansprechen muss – “Papa/Mama” ist ernsthaft unmodern-; auf der anderen Seite Janette, die eine zwar fürsorgliche, aber emotional oft abwesende Mutter und einen saufenden, dauernd schimpfenden dauernd fernsehenden Vater hat (beide viel zu dick); hier findet man Achtsamkeit nicht im Wörterbuch. Es stehen sich also persifliert und holzschnittartig gegenüber: die klassisch-liberalen Clischee-Akademiker und die vorurteilsgemäßen Hartz-IV-Asis. 
Aber Eltern sind Eltern, und ob sie selbstbewusst freundlich oder egozentrisch abwesend sind, Fehler machen alle. Luka und Janette sind also beide davon überzeugt: ihre Eltern sind die schlimmsten. Die Kinder unterhalten sich im Treppenhaus über ihren Alltag. Luka zum Beispiel hat seine Eltern beim Vögeln erwischt – eine äußerst komische Szene! – und obwohl er selbst kein großes Problem damit hat (außer, dass er es natürlich peinlich fand), muss er jetzt vor allem noch deren langwierige Ausreden und Pseudoerklärungen durchstehen. 


Beide Kids empfinden die Zustände in ihren eigenen Familien als krass, und obwohl sie sich dies freimütig anvertrauen, entsteht eine Art Eifersucht dem jeweils fremden Elternpaar gegenüber. Ist diese gerechtfertigt? Und stimmt die Aussage: Wo es anders ist, ist es besser, eigentlich? Aber vor allem: Wie würde das Leben aussehen, wenn beide in Zukunft unabhängig von ‘da oben’ in Freiheit und miteinander leben könnten…? Darüber wird gequatscht und phantasiert. 

In der ersten Instanz denkt man beim Lesen: ‘Wo bin ich gelandet?’ Merkwürdige Leute und irre Dialoge! Aber schnell versteht man: Witz und Ernst gehen Hand in Hand in diesem ironisierend surrealistischen Text, der über der Beschreibung von alltäglichen Situationen eine farbenreiche und besondere Welt eröffnet und mehrere Themen erfrischend behandelt. Das Verhälnis zwischen Kindern und Eltern wird auf extrem witzige Weise unter die Lupe genommen und der Autor traut sich, sämtliche Vorurteile und Klischees so zu behandeln, dass immer wieder unerwartete Kurven genommen werden. 

Es macht einen Riesenspaß den Text zu lesen und man freut sich über jede neue Verrücktheit, die bei genauerer Betrachtung eigentlich erschreckend normale Situationen in Familien spiegelt. Und obwohl der Zuschauer die Eltern- und die Kinder-Perspektive  kennenlernt, verbündet er sich automatisch mit den jungen Protagonisten.

Das Stück ist ein kluges Soziogramm und verbindet als solches auf originelle Weise zwei Lebensarten; sowohl die privilegierten als auch und gerade die prekären Verhältnisse werden extrem dargestellt, kommen einem aber trotzdem sehr nah, weil die Figuren unglaublich liebevoll und immer mit einem Augenzwinkern gezeichnet werden. 

Damit hat der Autor einen sehr frischen dynamischen Text geschaffen, der nach Meinung der Jury unbedingt auf die Bühne gehört.

bottom of page